Juni 1

Unternehmen schließen – und die Politik schaut zu

Fast 200.000 Unternehmen haben 2024 in Deutschland ihre Tätigkeit beendet. Das ist kein Ausreißer – das ist ein strukturelles Alarmsignal.

Laut einer neuen Untersuchung von Creditreform und dem ZEW Mannheim ist die Zahl der Unternehmensschließungen 2024 um 16 Prozent gestiegen – auf erschreckende 196.100 Betriebe. So viele wie seit 2011 nicht mehr. Damals steckte Europa in der Nachwehe der Finanzkrise. Heute ist es die Wirtschaftspolitik selbst, die den Druck erhöht.

Foto: Creditreform

Und bevor wieder irgendjemand sagt, das seien ja „nur Schließungen“ und keine Insolvenzen:
Richtig. Aber genau das macht es noch schlimmer.

Denn wer freiwillig schließt – trotz laufender Aufträge, Know-how und Struktur –, tut das oft aus systemischen Gründen: fehlende Nachfolger, zu hohe Kosten, zu viel Bürokratie, zu wenig Zukunftsperspektive. Es ist das stille Weggehen, das zeigt, wie viele Unternehmer längst die Hoffnung aufgegeben haben.

Der schleichende Substanzverlust

In energieintensiven Branchen wie Chemie, Metall oder Baustoffen ist der Exodus besonders heftig: über 1.000 Schließungen, ein Plus von 26 %. Im technologiegetriebenen Dienstleistungssektor – also dort, wo angeblich Deutschlands Zukunft liegt – gingen 13.800 Betriebe vom Netz, darunter IT-Firmen, Diagnostiklabore, Umwelttechnik-Anbieter. Ein Anstieg von 24 %.

Das ist kein Strukturwandel – das ist Rückbau.

Die Konsequenz? Know-how, das über Jahre aufgebaut wurde, verschwindet. Wertschöpfung wird verlagert. Investoren ziehen weiter. Und niemand ruft „Halt!“.

Fachkräfte fehlen – und mit ihnen die Zukunft

Die Studie nennt es offen: In vielen Fällen liegt es am Fachkräftemangel. Kein Personal, keine Planungssicherheit. Das gilt auch für den Wohnungsbau, wo rund 9.700 Firmen die Segel gestrichen haben – mitten in einer Phase, in der die Regierung laut Koalitionsvertrag einen „Wohnungsbau-Turbo“ zünden wollte. Realität und Rhetorik – meilenweit auseinander.

Auch große Unternehmen geben auf

Besonders alarmierend: Immer mehr größere, wirtschaftlich aktive Betriebe stellen die Arbeit ein – über 4.000 allein 2024. Das ist fast doppelt so viel wie in einem Normaljahr. Diese Firmen schließen nicht wegen Renteneintritt oder Erbfolgeproblemen. Sie schließen, weil sie nicht mehr wollen. Oder nicht mehr können.

Der wirtschaftspolitische Offenbarungseid

Ja, nicht jede Schließung ist eine Tragödie. Märkte wandeln sich. Geschäftsmodelle werden überholt. Aber wenn alle Sektoren betroffen sind – von Hightech bis Handwerk, von Industrie bis Gesundheitswesen –, dann ist das keine Konjunktur, sondern strukturelles Staatsversagen.

Die Antwort der Politik? Lippenbekenntnisse zu Innovation, aber kein schneller Netzausbau, kein echter Bürokratieabbau, keine wirksamen Steuerreformen. Nur Stakeholder-Gipfel, Arbeitskreise und ein immer dünnerer Mittelstand.

Fazit: Deutschland verliert – nicht nur Unternehmen, sondern Zukunft

Fast 200.000 Schließungen in einem Jahr – das sind nicht nur Zahlen. Das ist ein Land, das wirtschaftlich ausblutet, während die Politik auf Zeit spielt.

Und wenn wir weiter glauben, dass das alles nur Einzelfälle oder natürliche Marktbereinigungen sind, dann gilt bald:
Der Letzte macht das Licht aus – vorausgesetzt, er bekommt noch einen Elektriker.


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  • Jetzt mal nicht ganz so negativ. 😉


    Im Jahr 2024 wurden in Deutschland rund 120 900 Betriebe gegründet, deren Rechtsform und Beschäftigtenzahl auf eine größere wirtschaftliche Bedeutung schließen lassen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das 2,1 % mehr neu gegründete größere Betriebe als im Jahr 2023. Gleichzeitig stieg die Zahl der vollständigen Aufgaben größerer Betriebe um 2,7 % auf rund 99 200. Dennoch war die Zahl der Betriebsgründungen auch 2024 wie in allen Jahren seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2003 höher als die Zahl der Betriebsaufgaben.

    https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/02/PD25_067_52.html

    • Interessant.

      Stellt sich mir die Frage, welchen Anteil haben die vollständigen Aufgaben größerer Betriebe an den gesamten vollständigen Aufgaben?
      Oder auch: Wie viele Jobs sind denn neu geschaffen worden und wie viele sind weggefallen.

      Ich denke, bald lässt sich das Ganze nicht mehr kaschieren, denn dann wird es offensichtlich, dass es immer mehr Schließungen und somit immer mehr Arbeitslose gibt.

      Deutschland und auch Europa hat fertig…

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